Der frühere Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, hatte einst seine Rolle als Angreifer, Themensetzer und Verteidiger der Regierungspolitik folgendermaßen zugespitzt: Ich darf die Debatten nicht den anderen überlassen. Was können die Grünen davon lernen?

Man daraus lernen, dass die Grünen aber auch die SPD als Überbleibsel der Ampelkoalition viel zu brav auftreten. Mit dieser Bravheit stehen sie stellvertretend für die demokratischen Kräfte im Allgemeinen beim Umgang mit dem Populismus. Dadurch hat nicht nur die Ampelregierung die Debattenhoheit an die Populisten verloren, sondern auch die Demokraten als Gesamtheit.

Was hat die Ampelregierung versäumt trotz zweifellos vorzuweisender Verdienste wie die Behebung der Gasmangellage? Sie hat versäumt, deutlich zu machen, warum das aktuelle Preisniveau vor allem bei den Lebensmitteln wahrscheinlich nicht wieder auf den Stand vor dem Preisschock zurückgehen wird, obwohl die Inflation sich inzwischen wieder der gewünschten Zielinflation angenähert hat. Sie hat versäumt, den Strukturwandel zu einem gesamtgesellschaftlichen Projekt zu machen trotz der selbst erhobenen Maßgabe mehr Fortschritt zu wagen. Sie hat versäumt, die Energiewende glaubhaft mit der sozialen Frage zu verknüpfen. Sie hat versäumt die eigene Maßgabe mit Leben zu füllen und eine Idee von Deutschland zu vermitteln. Gerade wegen der sich neu formierenden multipolaren Weltordnung ist diese Idee umso wichtiger. Erst mit einer durchdachten Idee von Deutschland kann man bei der der Rechtfertigung der eigenen Politik in die Vorhalte kommen und alle denkbare Einwände der Gegenseite aus den Händen nehmen. Robert Habeck hat bei dem einen oder anderen öffentlichen Auftritt zumindest schon mal angedeutet, dass er seine Wirtschaftspolitik in einen größeren Zusammenhang einordnen kann, um darüber Einwände abzuräumen. Das darf aber nicht die Ausnahme sein, sondern muss zum Normalmaßstab werden.

Wie es absolut nicht gehen kann, veranschaulichte beispielhaft das Rededuell, das vor ein paar Monaten in der ARD bei Maischberger zwischen Katharina Schulze vom Bayerischen Landesverband der Grünen und dem rechtskonservativen Populisten Hubert Aiwanger stattgefunden hat – aus Anlass der Diskussionen um das Heizungsgesetz. Darin ist es Schulze nicht gelungen, wie die Applausverteilung im Fernsehstudio belegt, Aiwanger bei der Formulierung der üblichen Abwertungsphrasen gegenüber den Grünen etwas entgegenzusetzen; Abwertungsphrasen wie: Die Grünen stünden für eine Ideologie, die eigentumsfeindlich sei, sie seien übergriffig zum Beispiel gegenüber den Landwirten und sie würden mit einer selbstgerechten großstädtischen Attitüde auftreten. Einen Großteil des Arsenals des augenblicklich stattfindenden Kulturkampfes, den beispielsweise die Soziologen Cornelia Koppetsch und Andreas Reckwitz prominent porträtiert haben, hat Aiwanger hier aufgeführt. Man könnte auch von dem üblichen rechten Narrativ sprechen, die Grünen seien eine Bedrohung für die Freiheit der Bürger.

Doch Schulze war eben viel zu brav und setzte deshalb Aiwanger keine Grenzen. Folglich konnte er, getragen durch die Öffentlichkeit eines Formats wie Maischberger, das etablierte Narrativ wirkungsmächtig ausschlachten, die Grünen stünden für Verbot und Verlust. Dieses Framing ist so wirkmächtig, dass der Klimaschutz kaum dagegen ankommt wie die Kampagne gegen Robert Habeck im Zuge des Heizungsgesetzes belegt. Dieses Framing hat diese Wirkungsmacht entwickeln und sich in der gesellschaftlichen Mitte verankern können, weil, wie der Kulturkritiker Georg Seeßlen richtig sagt, die Angst vor dem Ende des Kapitalismus und seiner Wohlstandsversprechen größer ist als die Furcht vor dem Klimawandel und vor der Verschlechterung der Lebensbedingungen auf diesem Planeten. Und diese Ängste nutzen Leute wie Aiwanger aber auch die Ideologen der AfD aus und stacheln sie weiter an.

Leider konnte Schulze nur darauf verweisen, dass Aiwanger die immergleichen Phrasen liefert. Begründen konnte sie es nicht. Ein Gegenframing konnte sie erst recht nicht formulieren. Schulze konnte nicht einmal ihre Habitusvorteile, die sie zweifellos besitzt, gegenüber dem grobschlächtigen Aiwanger ausspielen. Deshalb scheiterte Schulze wie Markus Lanz bereits darin, Aiwanger als den eigentlichen Ideologen bloßzustellen. Denn Populisten wie Aiwanger und die der AfD entkoppeln Freiheit in sozialdarwinistischer Manier von sozialer Verantwortung. Freiheit heißt für sie nur, im Sinne einer Hyperindividualität von staatlichen Zugriffen und Regulierungen befreit zu sein. Das beten rechtslibertäre Influencer und Meinungsmacher wie Marc Friedrich und Markus Krall auf ihren Kanälen mit ihren Träumen von der Meritokratie wöchentlich herunter. Nach meiner Ansicht muss es endlich zu einer Umdrehung dieses Narrativs kommen. Es muss endlich gelingen, die Gegenseite der Ideologie zu überführen, um die Ängste vor Verlust und Verzicht zu verringern. Dafür braucht man umso mehr eine Idee von Deutschland.