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Politisch drängende Probleme gibt es viele. Doch die einzelnen Politikfelder sind sehr komplex, wie die Energiewende oder die Finanzpolitik, und hängen teilweise auch miteinander zusammen. Deshalb möchte ich mich erst einmal auf ein Kernproblem beschränken: die Bildungskrise.
Deutschland muss in Köpfe investieren. Denn durch derartige Investitionen lassen sich die strukturellen Herausforderungen mit den aktuellen Standortnachteilen durch hohe Energiepreise besser meistern. Je besser ausgebildet die Fachkräfte sind, desto hochwertiger können die Produkte sein, die die Volkswirtschaft produziert. Das heißt, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft hängt umso mehr davon ab, dass sie möglichst viele innovative Produkte auf den Markt bringen kann. Doch so wenig die Gesellschaft die erneuerbaren Energien ausbaut, wie es möglich wäre, um umso mehr Industrien im Land halten zu können, so wenig legt sie Wert auf Bildung. Das ist auch deswegen ein Nachteil, weil Bildung im Allgemeinen auch eine unverzichtbare Investition zur Vorsorge ist.
Bildung wird minimalisiert
Ich beziehe das auf die Bildung für die Kinder in dieser Gesellschaft. Ich stelle aber in meiner Branche fest, dass unser Bildungssystem durch einen immer größeren Bildungsminimalismus gekennzeichnet ist. Es ist eine Abwärtsspirale im Gang. Das heißt, das Programm in den Schulen wird immer mehr abgespeckt. Die Schulbücher werden stetig schlechter, weil sie immer leichter werden. Denn die Gestalter verkindlichen sie durch bunte Bild- und Spielelemente. Folglich werden die Anforderungen an die Schüler immer geringer, an denen sie wachsen können. Den Schülern wird demnach immer weniger abverlangt. Deshalb bleibt auch kaum ein Schüler noch sitzen. Auch das Unterrichtsarrangement ist eine Anpassung nach unten. Die Lehrerzentrierung ist längst zum Auslaufmodell geworden. Schülerzentrierung ist angesagt und die Lehrer haben sich hierbei an die Schüler anzupassen und behandeln sie wie Konsumenten, denen sie ein Unterhaltungsprogramm bieten müssen.
Wissen digital?
Diese Manöver scheinen notwendig zu sein, weil die modernen Medien und ihr ständiger Einsatz im Alltag und in der Freizeit die Aufmerksamkeitsspannen absenken. Die Lernerfolge dieser Unterrichtsmethoden sind jedoch miserabel. Das belegen die sich epidemisch ausbreitenden Lese- und Rechtschreibschwächen. Der Bildungswissenschaftler Wulf D. Rehfus hatte bereits in den 90er Jahren darauf hingewiesen. Gleichzeitig etabliert das Internetzeitalter zunehmend einen veränderten Umgang mit Wissen: nämlich die Auslagerung von Wissen auf Kosten von dessen Einlagerung. Wissen wird aus den Köpfen ausgelagert und gespeichert im Smartphone in der Hosentasche herumgetragen, anstatt dass es sich in den Köpfen befindet. Folglich ist in so manchem Milieu der Zugang zum Wissen wichtiger als das Wissen selbst zu besitzen. In der Konsequenz sinken neben den Aufmerksamkeitsspannen die Merkfähigkeit und die Verknüpfungsfähigkeit.
Inflation der Abiturient:innen
All das trägt zu den aktuellen Überforderungsgefühlen vieler Schüler bei zum Beispiel an den Gymnasien. Dort drängen immer mehr Schüler hin, weil sie auf Grund wachsender Zukunftsängste den mittleren Schulen entfliehen wollen. Zumal die Hauptschule, die früher ein Reservoir für die Auszubildenden in den Betrieben war, längst zur Resterampe geworden ist. Das führt dazu, dass heute Schüler Abitur machen, die vor 25 Jahren allenfalls einen Realschulabschluss erreicht hätten zu einer Zeit als die Abiturzahlen bereits in Richtung 40 Prozent tendierten. Doch die Stoffvermittlung soll sich diesen leistungsschwächeren Schülern anpassen und nicht umgekehrt. Dementsprechend machen immer mehr Schüler Abitur, aber die durchschnittliche Fähigkeit zum Studieren nimmt ab. Dazu nimmt auch die Ausbildungstauglichkeit ab. Kein Wunder, wenn immer mehr Schüler Abitur machen, ohne überhaupt ein Buch gelesen zu haben rein aus Überforderung. Diese Überforderung treibt auch so viele junge Menschen zu Plattformen wie TikTok, weil TikTok der Ort der Kontextlosigkeit ist. Dort sitzen dann die rechtspopulistischen Rattenfänger.
Aushöhlung der Studierfähigkeit
Über die mangelnde Studierfähigkeit beklagen sich wiederum die Dekane und Professoren der Universitäten, wie die Studie des Bayreuther Germanistikprofessors Gerhard Wolf zeigt. Gleichzeitig hat die Bildungspolitik das Studium verschlankt mit den Bachelor- und Masterstudiengängen nach der Bologna-Reform. Das heißt, es gibt jede Menge Bildungstitel aber die Substanz dahinter schwindet. Groteskerweise jammern inzwischen auch die Wirtschaftsverbände über diese Minimalismus-Akademiker, für die sie selbst verantwortlich sind. Denn es ist die Wirtschaft gewesen, die sich über die langen Studienzeiten beklagt hat, weil die Studenten zu lange gebraucht haben, um in die Verwertungskette der Wirtschaft zu kommen. Angeblich würden sie damit der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft schaden.
Niedrige Bildungsausgaben führen zu Überforderung
Dazu passen die Mahnungen des bekannten Mathematikers und ehemaligen Cheftechnologen von IBM, Gunter Dueck: Wiederholt weist Dueck darauf hin, wie verräterisch es sei, wenn sich Leute in der Arbeitswelt über die komplexer werdende Arbeit im Zuge der Digitalisierung beklagen. Das seien die ersten Anzeichen von Überforderung, und diese Überforderung führt er auf ein Bildungssystem zurück, das nicht fit sei für die Herausforderungen der Digitalisierung. Denn es vermittle nur unzureichend Kompetenzen, die der Computer nicht besäße. Bezeichnend für den von mir skizzierten zunehmenden Abbau an Bildung sind die Ausgaben für Bildung. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist so niedrig wie nie zuvor.
Für die notwendige Bildungsoffensive müsste der Staat richtig viel Geld in die Hand nehmen.